Vom Anderen. Zur Möglichkeit und Unmöglichkeit von Utopien im 21. Jahrhundert

„Vom Anderen. Zur Möglichkeit und Unmöglichkeit von Utopien im 21. Jahrhundert“

Das Zeitalter der Utopie ist offensichtlich vorbei. Die großen Träume einer Welt voller Wohlstand und Frieden sind der post-sozialdemokratischen Ernüchterung gewichen und die einzige Hoffnung, die den meisten bleibt, ist die Lohnsteigerung im Rahmen der Inflationsrate.

Was ist passiert? Das Scheitern der sozialistischen Gesellschaftsform begrub die Träume der westlichen Linken, das „Ende der Geschichte“ erwies sich als Wendepunkt zum Wiederaufstieg reaktionärer Ideologien von Nationalismus bis Islamismus. Auch die Wohlstandsversprechen des Spätkapitalismus wurden wegreformiert und stießen damit auch die noch vorhandene Sozialdemokratie in die historische Bedeutungslosigkeit.

Doch was waren die Träume nicht schön: Ein technologischer Fortschrittsoptimismus, der versprach, alle Probleme würden eines Tages von selbst oder intelligenten Maschinen gelöst werden und die Menschen wären vom Joch der körperlichen Arbeit endgültig befreit und Zustände wie im biblischen Paradies wären endlich greifbar. Die soziale Ordnung der Welt wäre gerecht gewesen, die Versprechen der bürgerlichen Revolutionen nach Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität schließlich doch eingelöst. Auf der ganzen Welt würde Frieden herrschen, Krankheit, Armut und Krieg wären nur noch eine blasse Erinnerung und Themen für den Geschichtsunterricht.

Im Gegenteil scheint es so, als verwirklichten sich nun die schlimmsten Albträume der Menschheit: In Zeiten der globalen Pandemie, die den Alltag von Milliarden Menschen auf den Kopf stellte, mittelfristig vermutlich zu einer noch nie dagewesenen Wirtschaftskrise inklusive der sozialen Folgen führen wird überschattet nur die drohende Klimakatastrophe, die das Bestehen der menschlichen Zivilisation an sich in Frage zu stellen droht. Diejenigen, die sich politisch am lautesten artikulieren, malen aber kein Bild einer güldenen Zukunft, sondern schwelgen in den Fantasien einer besseren, glorreichen Vergangenheit, die nur wiederhergestellt werden muss.

Die Utopie hatte in ihren Glanzzeiten auch immer eine Funktion: Entweder stellte sie der bestehenden Gesellschaft eine denkbare (und meist bessere) Alternative gegenüber oder sie bildete ein mögliches Ziel ab, um politische Bewegungen zu motivieren, die artikulierten Wünsche in die Praxis umzusetzen. Ist das Fehlen der Utopie in den neuen sozialen Bewegungen Folge oder Ursache einer politisch desillusionierten und gleichgültigen Gesellschaft?

Wenn eine politische Bewegung neben der trockenen Theorie und der Einsicht in die besseren Argumente den Menschen etwas bieten soll, was sie auch als Individuen direkt betrifft, so ist die Utopie in dieser Hinsicht essentiell.


I. Podium: Utopien in der Popkultur

Donnerstag, 1. Juli 2021 – 18 Uhr – Conne Island Veranda

Mit: Jennifer Beck, Jens Balzer, objekt klein a

Wovon singen die eigentlich? Um eine Utopie zu entwerfen, muss man nicht wissenschaftliche Abhandlungen schreiben oder sich in Lesekreisen damit auseinandersetzen. Auch die Popkultur, in die Jugendliche hineinwachsen und die uns Tag für Tag in Musik, Film und Werbung umgibt, kann utopische Inhalte transportieren.

Als soziokulturelles Zentrum ist das Conne Island auch ein Veranstaltungsort für mehrere Konzerte und Tanzveranstaltungen in der Woche. Oft werden auf der Bühne Botschaften transportiert zu einem Anderen, Besseren, und auch die verschiedenen Herangehensweisen der Agenturen und Künstlerinnen und Künstler offenbaren, dass oft ein Veränderungswille hinter dem steht, was sie tun. Diese oft implizite, spielerische Vermittlung von utopischen Ideen wollen wir auf einem Podium diskutieren. Jennifer Beck, ehemals Redakteurin bei "SPEX – Magazin für Popkultur", aktuell Kulturredakteurin beim Missy Magazine und Chefredakteurin von "Die Epilog – Zeitschrift zur Gegenwartskultur", Musikjournalist Jens Balzer ("Pop und Populismus") und zwei Betreiber*innen des objekt klein a in Dresden werden über utopische Momente in zeitgenössischer Popkultur auf dem Freisitz des Conne Island sprechen.


II. Eine feministische Perspektive darf da natürlich nicht fehlen – Die Gala

Freitag, 9. Juli 2021 — 18 Uhr — Conne Island Veranda

outside the box&das gewisse extra laden ein zum utopischen Gesamtkunstwerk. Die Trennungen sind aufgehoben, zumindest einen Abend lang. Für das leibliche Wohl wird gesorgt. Abendgarderobe erbeten. Ein Fest!

Die Tickets sind streng limitiert! VVK-Start ist Freitag, der 18. Juni 2021. Hardtickets für 9,50€ gibt es in der Buchhandlung drift, im Zu Spät und im Conne Island Café.


III. Science-Fiction Sleepover und Vortrag von Norma Schneider

Freitag, 30. Juli 2021 — 19 Uhr — Conne Island Freisitz

Utopien können auch Zeit zum Träumen brauchen. Im sogenannten REM-Schlaf entsteht kreatives Denken: Bereits erlebtes wird eingeordnet und neu verknüpft. In diesen Schlafphasen entstehen oft ungewöhnliche Ideen. Zum Einstieg hält Norma Schneider einen Vortrag zu Utopie in Science-Fiction-Filmen und -Serien. Denn Science-Fiction bietet eigentlich den idealen Rahmen für utopisches Denken. Mit ihr kann man eine Welt entwerfen, die über die gegenwärtigen Verhältnisse hinausgeht. Sie interessiert sich weniger für Übernatürliches als für das, was theoretisch möglich wäre. Wenn von fremden Planeten, außerirdischem Leben und Technologien der Zukunft erzählt wird, öffnet sich ein Raum für Ideen für bessere Formen des Zusammenlebens und der gesellschaftlichen Organisation: Könnte das Leben in der Zukunft nicht ganz anders organisiert sein? Haben die Bewohner anderer Galaxien es nicht viel besser hinbekommen? Nach Adorno ist utopisches Denken der Wille, „daß es anders ist“, also eine Ablehnung der scheinbaren Alternativlosigkeit des Status Quo.

Der Vortrag begibt sich auf die Suche nach in diesem Sinne utopischen Momenten in aktuellen Science-Fiction-Filmen und -Serien. Und „Star Trek“ darf dabei natürlich nicht fehlen. Danach verwandeln wir den Conne Island Freisitz zu einem Raum zum Träumen. In Schlafsäcken in den Himmel blickend, werden wir Science-Fiction-Hörspielen lauschen und zwischen Wachen und Schlafen, Traum und Traumerinnerung pendeln.

Tickets kosten 10€, Anmeldung und weitere Infos unter anmeldung@conne-island.de. Bitte bringt Schlafsäcke, Isomatten und, wenn möglich, Feldbetten mit!


IV. Vernissage: Der utopische Entwurf in der Kunst

Sonntag, 8. August 2021 — Conne Island Freisitz

Bestehende Begriffe sind eng umrissen und haben bereits ihren Bedeutungsgehalt. Sie beschreiben das, was wir bereits kennen und erfahren haben. Utopien ist per definitionem zu eigen, dass sie über das Bestehende hinausgreifen. Wie soll man Ideen fassen, die außerhalb des Bestehenden liegen und für die es noch keine Begrifflichkeit gibt? Theodor W. Adorno sieht das Potenzial eines utopischen Ausdrucks in der Kunst. In Kunst kann in Konstellationen, durch nicht-sprachliche Ausdrucksmittel, neue Ideen mitgeteilt und zugänglich gemacht werden. Im Projekt soll eine Ausstellung Künstlerinnen und Künstlern, die bereits in künstlerischen Kontexten etabliert sind, aber auch allen, die sich dafür interessieren, die Möglichkeit geben, sich künstlerisch ihrem Begriff einer Utopie zu nähern. Der Freisitz des Conne Island, der Saal und die verschiedenen Plenumsräume bieten Raum für verschiedenste Darbietungsformen. Die Form der Gestaltung bleibt allen Teilnehmenden freigestellt: Von Malerei und Fotografien, über Installationen, Video- und Audiodarbietungen bis hin zu Performances ist alles möglich.


V. Planspiel: Utopie

Sonntag, 15. August 2021 — 11-17 Uhr — Conne Island Freisitz

Im Planspiel entwerfen und erproben wir gemeinsam eine befreite Gesellschaft. Die TeilnehmerInnen erarbeiten selbst die Organisationsstruktur ihres utopischen Gesellschaftsentwurfs, nehmen Rollen innerhalb dieser Gesellschaft an und müssen diese nun erproben. Im Laufe des Planspiels treten Konflikte zwischen den eingenommenen Rollen auf, die es durch die TeilnehmerInnen zu lösen gilt. Auch ein Konflikt von außen – beispielsweise eine Naturkatastrophe oder ein Ressourcenengpass, aber auch moralische Konflikte – sind denkbar. Die TeilnehmerInnen messen ihren utopischen Entwurf in dem Rollenspiel an der Praxis und lernen so Aushandlung, Entscheidungsfindung, entdecken neuralgische Punkte im Gesellschaftsentwurf in krisenhaften Momenten und müssen gemeinsam versuchen, diese Punkte zu verbessern.

Anmeldung unter anmeldung@conne-island.de, die TeilnehmerInnenzahl ist auf 20 begrenzt. Infos zu Hygienemaßnahmen und Schnelltests vor dem Planspiel werden zeitnah an die TeilnehmerInnen geschickt.


VI. Vortrag und Buchvorstellung: Martin Burckhardt: „Apocalypse Now! Über die Mechanik endzeitlichen Denkens“

Donnerstag, 9. September 2021 — 19 Uhr — Conne Island Veranda

Mit dem Vortrag von Martin Burckhardt wollen wir uns mit endzeitlichen Denkansätzen beschäftigen und fragen, warum diese utopisches Denken in der Öffentlichkeit aktuell teils zu verdrängen scheinen. Als man zur Zeit des Mauerfalls das „Ende der Geschichte“ ausrief, wollte es den Beteiligten nicht dämmern, daß sie sich bald schon unter einer Gewitterwolke des Endzeitdenkens wiederfinden würden. Vielleicht hätte das No Future des Punks als Warnung gelten können, ebenso wie der Umstand, daß mit der Postmoderne („dem Ende der großen Erzählungen“) sich eine philosophische Geistesdämmerung übers Land gelegt hat. In dem Maße jedenfalls, in dem der Verweis auf die „künftigen Generationen“ aus der Mode geriet, die Regierenden auf Sicht fuhren oder sich gleich zum Blindflug bequemten, sind die Utopien ins Dystopische hinübergekippt.

Woher nur rührt die Begeisterung für das apokalyptische Denken? Wie konnte sich in einer durch und durch säkularen Gesellschaft eine Religion ohne Religion ausprägen, wie eine durch und durch verwöhnte Konsumentenschar Verhaltensweisen ausbilden, die eine innige Verwandtschaft zu religiösen Erweckungsbewegungen aufweisen, ja sie in mancherlei Hinsicht an Radikalität noch überbieten? Martin Burckhardt wirft in seinem Vortrag einen frischen Blick auf die „historische Apokalypse“.


VII. Vortrag: Netzwerkutopien mit Geert Lovink

Freitag, 1. Oktober 2021 — 19 Uhr — Conne Island Saal

Der Performance-Vortrag von Geert Lovink nimmt die dunkle Seite des Internets in den Blick, die „techno sadness“, die einsetzt, wenn all die Techniken der Selbstoptimierung scheitern und Internetnutzer:innen das Gefühl bekommen, nicht mithalten zu können. Das uneingelöste Versprechen des Internets von Partizipation und Ermächtigung führt zu Verzweiflung und Zorn. Wie konnte es dazu kommen? Der Vortrag untersucht die Rolle von Social Media Plattformen, welche ihre Nutzer:innen dazu bringen, sich an die Konformität der Plattform anzupassen und so jegliche Diversität und jedes Gefühl von individuellen Handlungsoptionen ersticken und so ein Gefühl von Einsamkeit und Traurigkeit auslösen. Geert Lovink will auf das utopische Potential hinweisen, welches soziale Netzwerke eigentlich haben könnten, wenn sie nicht durch den Plattformkapitalismus gesteuert würden und wirft die Frage auf, warum gerade Linke dieses Potential nicht für sich nutzen und vielleicht noch nicht einmal erkannt haben.


VIII. Workshop: Acid-Communism (Mark Fisher)

Datum und Beginn: tba

Das berühmte Postulat Margret Thatchers »There is no such thing as society« scheint Wirklichkeit geworden zu sein: Mit der neoliberalen Ausdifferenzierung auf dem Feld der Produktion, dem schrittweisen Umbau der Wohlfahrtsstaaten zu aktivierenden Sozialstaaten ging auch eine ideologische Individualisierung einher: Jeder sei seines Glückes eigener Schmied – und dementsprechend selbst dafür verantwortlich, wo er bleibt.

Die Vorstellung vom unabhängigen, formbaren Selbst fördert gleichermaßen Größenwahn, Angst und Selbsthass. Gefangen im Bann des Spektakels und dazu angehalten nicht nur die eigene Arbeitskraft, sondern immer mehr die eigene Persönlichkeit beständig zu vermarkten und zu optimieren um auf dem prekärer werdenden Arbeitsmarkt zu bestehen – bei aktiver Bejahung dieses Elends – wird auch die Möglichkeit einer bloßen Vorstellung, die über die bestehenden Verhältnisse hinausgehen könnte immer kleiner.

Ob im Ruf nach Selfcare und Empowerment, nach bloßer Repräsentation im Staatsapparat oder gar in der Forderung sich kollektiv »dem Willen der Natur« zu unterwerfen, zeigt sich, dass auch ein Großteil der Linken die undurchsichtigen Herrschaftsverhältnisse dieser Gesellschaft nicht zu durchblicken vermag.

In Kleingruppen möchten wir uns anhand der Gedanken des britischen Kulturtheoretikers Mark Fisher mit der Frage beschäftigen, wo im Alltag dennoch Brüche erkennbar sind, die weder auf das eigene, noch auf das Unvermögen einzelner Anderer, sondern auf unpersönliche, gesellschaftlich gewachsene Strukturen rückzuführen sind und wie sich mit diesen umgehen lässt.


IX. Vortrag: Prof. Gerhard Stapelfeldt - Dialektik und Revolution

Donnerstag, 25. November 2021 – 19 Uhr — Conne Island Saal

Dialektik, der „methodisch ausgebildete Widerspruchsgeist“ (Goethe, He­gel), ist die Aufklärung „unbewußter“ gesellschaftlicher Verhältnisse im In­teresse der Verwirklichung eines „vernünftigen Zustands“ (F. Engels) durch „revolutionäre Praxis“ (Marx). Weil die dialektische Theorie der Gesellschaft selbst jenen Verhältnissen zugehört und nicht schon darüber hinaus ist, an­tizipiert sie jenen Zustand nicht „dogmatisch“, sondern entdeckt durch theo­retische und praktische „Kritik der alten Welt die neue“ (Marx). Gerade um der Utopie einer „Versöhnung der Menschheit mit der Natur und mit sich selbst“ willen (Engels) entsagt die dialektische Theorie der Konstruktion des utopischen Zustands: um „Glück“ zu verwirklichen, wird das „Unglück“ auf­geklärt (Marx).

Gerhard Stapelfeldt lehrte bis 2009 als Soziologie-Professor an der Uni Ham­burg. Seitdem arbeitet er als freier Schriftsteller in Hamburg.


Das Kleingedruckte